Am 26. September wählen die Deutschen den nächsten Bundestag. Alle Deutschen? Vor vier Jahren verzichtete fast ein Viertel der Wahlberechtigten darauf, seine Stimme abzugeben. Die „Partnerschaften für Demokratie“ fördern bundesweit das demokratische Engagement vor Ort – so wie Dominik Lindner, Eva Günther und Jörg Rumpf in Eisenach und a. Mit zahlreichen Projekten bekämpfen sie auch die Wahlmüdigkeit der Westthüringer.
„Eine Demokratie hat immer ein Problem, wenn keiner wählen geht“, weiß Lindner. „Wir geben mit unserer Stimme der Regierung eine Legitimierung, uns zu vertreten und in unserem Namen zu sprechen.“ Günther ergänzt: „Ich kann alle vier Jahre neu entscheiden, was passiert. Dieses Recht sollte ich wahrnehmen, weil sich auch meine Lebenssituation ändert. Wenn ich nicht wählen gehe, entscheiden andere für mich.“
Im Idealfall spiegele die Politik die Grundwerte einer Bevölkerung wider, glaubt Lindner. „Die Einstellung der Menschen ändert sich und die Werte mit ihr. Damit dem in der Politik Rechnung getragen werden kann, findet auch regelmäßig eine Wahl statt.“ Rumpf erinnert: „Und heute habe ich die Freiheit zu wählen, wen ich wählen möchte – nicht wie vor 30 Jahren.“
Günther empfiehlt allerdings nicht, wählen zu gehen, nur um irgendwo blind sein Kreuz zu setzen und appelliert, sich vorher zu informieren. „Wenn ich wählen gehe, übernehme ich auch Verantwortung dafür, was am Ende dabei herauskommt. Das ist die Grundlage der Demokratie. Daher muss ich mich von der Illusion lösen, dass eine Protestwahl etwas bringt. Dann lieber einen ungültigen Stimmzettel abgeben.“
Als einen Hauptgrund, nicht wählen zu gehen, machen die drei vor allem eine gewisse Unwissenheit aus. „Viele kennen ihre Rechte nicht genau und wissen nicht, was sie mit ihrer Stimme bewirken können. Dies ist verknüpft mit einigen Vorurteilen“, ist die Erfahrung von Dominik Lindner. Wer generell wenig am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teilnehme, verzichte auch vielfach darauf, wählen zu gehen, verortet er eine Vielzahl der Nichtwähler bei Menschen mit niedrigem oder gar keinem Einkommen.
„Manche vergessen auch einfach, wählen zu gehen“, erkennt Eva Günther, dass die Wahl nicht bei jedem den gleichen Stellenwert hat. Sie hat dabei vor allem die Jüngeren im Blick, die potenziellen Erstwähler. „Bei der letzten Wahl hat der Wahlzettel ausgeklappt gar nicht mehr in die Wahlkabine gepasst.“ Viele junge Menschen überfordere das Überangebot an Parteien. „Unsere Aufgabe ist es, zu informieren und zu motivieren, sich mit den Parteien zu beschäftigen. Unser erster Ansatz ist daher Aufklärung.“ Beispielsweise wurde ein Video produziert, das erklärt, wie Wahlen funktionieren und welchen Einfluss jeder hat. „So wollen wir Jugendlichen bewusst machen, dass sie ein Recht auf Mitsprache und Mitwirkung haben“, sagt Günther.
„Ich muss das Gefühl haben, mit meiner Wahl etwas verändern zu können – für mich persönlich oder im Großen gesehen“, erkennt Jörg Rumpf diese Motivation auch bei Älteren, die sich oftmals über gebrochene Wahlversprechen ärgerten. „Wer schon länger dabei ist, hat schon bemerkt, dass oft das eine gesagt und dann das andere gemacht wird. Aus diesem Widersprüchen kann Verdruss entstehen“, weiß Lindner. Oft helfe aber nur ein Kompromiss. „Politische Prozesse sind sehr komplex. Es ist in seltensten Fällen möglich, dass eine Partei ihre Wahlversprechen zu 100 Prozent durchsetzen kann.“
Für viele werden die Parteien dadurch immer weniger unterscheidbar. „Früher zeigten die Parteien eine klarere Kante“, stellt auch Günther eine Annäherung fest. Aber es sei nicht verwunderlich, dass Politiker genau die Themen aufgriffen, die die Menschen auch beschäftigen, meint Lindner. „Grundsätzlich sollte man unterscheiden: Bei wem steht das Thema wirklich auf der Agenda und wer macht nur Wahlwerbung.“
Dass die Corona-Pandemie die Wahl beeinflussen werde, glauben alle drei. „Die Beteiligung an der Briefwahl wird auf jeden Fall zunehmen, da sie ein Gefühl der Sicherheit schafft“, sagt Rumpf. Er denkt auch, dass der Wahlkampf diesmal stärker online geführt werde. Rumpf fürchtet dabei die bewusste Beeinflussung mit Falschmeldungen. „Wenn ich in meiner Filterblase bin und nur hieraus meine Informationen beziehe, nehme ich Falschmeldungen schnell für bare Münze. Das wird immer mehr zunehmen.“ Lindner glaubt zwar nicht, dass die Menschen heute einfacher zu manipulieren seien. „Aber sie sind auf digitalem Weg einfach viel leichter zu erreichen. Wenn Denken und Handeln von Angst bestimmt werden, wird auch die politische Wahl dadurch geleitet. Da sehe ich die Herausforderung, die Angst zu nehmen und zurück zu den Fakten zu kommen.“
„Wir nennen da gerne souveräne Quellen“, bietet Günther an. Der Wahlomat offeriere beispielsweise eine gute Grundlage. „Wie vor rund 90 Jahren tendieren heute einige Leute dazu, antidemokratische Parteien zu wählen“, sorgt sich Lindner. „Das darf man nicht unterschätzen. Für uns ist das auch ein Grund, wählen zu gehen.
Hintergrund
Deutschlandweit existieren die lokalen Partnerschaften für Demokratie. Hier kommen Vereine und Verbände, Religionsgemeinschaften sowie weitere Engagierte aus der Lokalpolitik und Verwaltung zusammen. Unterstützt werden sie durch das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und in Thüringen durch das Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „Denk bunt“. Unter dem Motto „Vielfalt tut gut“ stehen beispielsweise die Mitglieder aus Eisenach und Wutha-Farnroda für eine bunte Gemeinschaft mit Toleranz, Akzeptanz und Respekt voreinander. Sie fördern bürgerschaftliches Engagement, Zivilcourage und demokratische Kompetenz. Kontakt: 01 76 / 60 99 62 55, vtg.eisenach@googlemail.co