Von Dirk Koch
Das angebliche Raubritternest wurde vor 750 Jahren eingenommen und schließlich zum ersten Erfurter Dorf.
Erfurter bekannt für Raubburgenerstürmung
Sie trieben es viel zu bunt, die Herren von Stotternheim. Ihre vor den Toren Erfurts gelegene Burg war zum Raubnest verkommen. Damals durchaus kein Einzelfall, die Straßenräuberei war für Adelsherren eine durchaus willkommene Einnahmequelle. Wer sollte ihnen schon in die Quere kommen? 1269 eroberten die Erfurter schließlich die Niederungsburg Stotternheim, das berüchtigte Raubschloss. Der Ort wurde zum ersten Erfurter Dorf und markierte damit den Beginn einer langen und erfolgreichen Entwicklungsphase der Stadt. So heißt es offiziell im Tenor zahlreicher geschichtlicher Überlieferungen.
Stotternheims wirklich Raubritter?
Ob die Stotternheims tatsächlich Raubritter waren, wird heute eher in Zweifel gezogen. Es gibt Hinweise darauf, dass die Erfurter das Raubrittertum nur als erfundenen Vorwand nutzten, um die Burg zu erstürmen. Ludolph von Stotternheim, so der Name des Burgmanns, stand in den Diensten des Landgrafen von Thüringen. Erfurt gehörte zum Erzbistum Mainz, und allein dadurch war ein Vertreter des Landgrafen so unmittelbar vor den Toren der Stadt ein nicht geringer Störfaktor für die Politik der aufstrebenden Stadt.
Burg als Mythos
Egal, wie es nun wirklich war, die Stotternheimer Burg, von der keiner weiß, wie sie wirklich aussah, ist zum Mythos avanciert. Sogar über das Jahr der Erstürmung gibt es unterschiedliche Jahreszahlen, 1269 ist die am meisten genannte. Die einzigen Darstellungen der Burg sind Erfindungen, um dem Traumbild ein Gesicht zu geben. 1988 schaffte es dieses Abbild der Burg sogar auf den Wandteller von Weimar Porzellan zum 900-jährigen Ortsjubiläum. Laut verschiedenen Ausführungen war das Schloss eines der ältesten und festesten in Thüringen und führte den Namen „Stammergrell“. Aber auch diese zwei Feststellungen gehören wohl zu einer im 19. Jahrhundert geschaffenen Legende.
Reale Beweise für die Existenz fehlen heute
1306 ließ der Rat vor Erfurt, wohl unter Leitung von Heinrich von Stotternheim, das zerstörte Schloss wieder aufbauen, es erlangte jedoch nicht mehr seinen einstigen Glanz und wurde später wieder zerstört. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts sollen noch zahlreiche Trümmer der Burg am „Graben“ und höher liegenden Äckern gelegen haben, auch der verfüllte, drei Fuß breite gemauerte Brunnen soll am Udestedter Weg zu sehen gewesen sein. Manche Überlieferungen wollen ihren Standort sogar im Bereich von Luther- und Klingesee sehen. Reale Beweise für die Existenz der Burg Stotternheim fehlen heute, indes lebt sie als Wahrzeichen des Ortes.
Traditionspflege auf angenehme Art
Der Familie von Stotternheim indes scheint die Zerstörung ihres Sitzes nicht besonders geschadet zu haben. Ludolph von Stotternheim musste sich zwar 1269 den Erfurtern ergeben. Er wurde jedoch nicht als Raubritter behandelt, im Gegenteil. Die Stadt Erfurt war verpflichtet, ihn reichlich zu entschädigen, dazu bekam er ein Grundstück innerhalb der Stadtmauern. Die Stotternheims prägten später die Geschichte der Stadt maßgeblich, Otto von Stotternheim wurde zweimal Rektor der Universität. Hiob von Stotternheim galt im 17. Jahrhundert als reichster Bürger der Stadt. Seit 1994 gehört Stotternheim wieder einmal zum Erfurter Stadtgebiet. Jeden Sommer erobern die Städter mittlerweile auf friedliche Art und Weise die zahlreichen Seen zur Erholung und zum Aktivsport. Traditionspflege auf angenehme Art.
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