Das Kreuz mit dem Kreuz
Einblicke in die Vielschichtigkeit von Politik und Politikern gewährt – auch augenzwinkernd – AA-Redakteur Thomas Gräser
Nun lächeln sie wieder seit geraumer Zeit von Masten, Plakatwänden und Aufstellern. Und so manches Poster ist aufwendig digital aufgehübscht worden. Wer nach oben will, kauft sich halt etwas Schönheit. Sie sind überall präsent, als Porträt geklebt, als Post, als App, als Instagram-Account. Dann noch im Fernsehen und im Print – keine Talkshow wird ausgelassen, keine Zeitung ohne Beitrag, Statement von ihnen – den Spitzenkandidaten der großen Parteien: Schulz, Merkel, Lindner, Herrmann, Göring-Eckardt, Özdemir, Wagenknecht, Bartsch, Weidel, Gauland.
Der Popart-Selfieman
Im Wahljahr ist vieles möglich. Da singt der ungeduldige liberale Popart-Politiker, der stets einen jugendlichen Spruch drauf hat, auch schon mal im Karneval. Dafür gibt es Applaus, auch wenn nicht jeder Ton sitzt. Dagegen gibt es viel Unmut über seinen „Kreml-Kuschel-Kurs“. Doch die blau-gelben und magenta-farbenen Selfies plus Tweets strahlen Optimismus auf Platz drei aus.
Der Effektarme
Diesen Rang hätte ein anderer im Politbarometer ganz gern. Doch der Genosse – der von der Senne an die Spree wechselte – liegt auf Platz acht, knapp vor der linken Spitzenkandidatin. Der Würseler wurde vom eigenen Effekt und von den eigenen Genossen effektlos gemacht. Er lief vor die parteiinterngemachte Wand.
Der Bierzeltüberwacher
Mauerlos zeigt sich dagegen plötzlich der “Oberbayer“ bei seiner jetzt (fast) vergessenen Obergrenze. Der schickt seinen in München geborenen „Vorzeigefranken“ ins Berliner Rennen. Dieser wiederum möchte nicht nur „wunderbare Neger“ mit mehr Videokameras überwachen, sondern auch Kinder und randalierenden Fußballfans den „Lappen“ entziehen. Mut macht aber sein Ausspruch: „In Bayern geht es uns am besten.“
Die Hoffnungsvollen
Videoüberwachung will auch die Hoffnungsvolle aus Thüringen, aber für „gezielte“ und sie wünscht sich: „Kirche muss politisch sein.“ Ich dagegen meine: „Politik muss frommer werden.“ Auch sonst ist die Frontfrau immer so ernst und laut. An ihrer Seite ist der Schwabe türkischer Eltern. Der legt sich mal richtig mit dem neuen Sultan am Bosporus an und kann seitdem nicht mehr unbehelligt in ein Berliner Taxi steigen.
Die Anderen
Mit dem würde auch der aus seiner Sicht alternativlose Spitzenkandidat nicht fahren können. Denn für ihn haben Deutschtürken, die für Erdogan stimmten, „in diesem Land nicht ihre Heimat“. Sie müssten es, und somit ihr Taxi, verlassen. Bei Ankommenden spricht der Dämon – der einst aus der DDR flüchtete – von „schleichender Landnahme“ durch Flüchtlinge. Gleichzeitig setzte er politisch auf mehr von ihnen. An seiner Seite der „Notbehelf“ für die geschasste Parteichefin. Die in der Schweiz Lebende verbannt deren „völkisch“ wieder in den Giftschrank und ersetzte es durch patriotisch. Es ist halt Wahlzeit. Andererseits bezeichnet dieses Steuersparmodell Mitglieder der aktuellen Regierung als „Schweine“ und „Marionetten der Siegermächte“. Heil-sam ist das nicht. Auf den gemeinsamen Wahlplakaten heißt es: „Neue Deutsche?“ ‚Machen wir selber.‘ Hoffentlich nimmt das die Doppelspitze nicht wörtlich. Offen bleibt allerdings, mit wem sich Deutschland verheiraten soll – „Trau dich, Deutschland!“, steht da drunter.
Die Ungeliebten
Das traute sich mit einem Saarländer wiederum eine weitere in Thüringen geborene Spitzenkandidatin. Die ungeliebte Kommunistin im Rosa-Luxemburg-Look kriegt von den eigenen Genossen schon mal eine Torte – wohlgemerkt ins Gesicht. Und für Äußerungen erhält sie auch mal Applaus von ganz Rechts. Und sie war – nach eigener Aussage – schlechter in der DDR dran als es unsere heutige regierende Physikerin damals war. Ungleicher kann ihr mitstreitendes Wahlkampf-Pendant nicht sein. Der Kühle aus dem Norden, der stille Reformer, der von links aus unerbittlich an der Mitte gräbt.
Die Mutti
Dort spielt auch unsere konservative „Mutti“. Wie meint sie nur den Slogan „Gemeinsam erfolgreich“? Sie regiert doch so allein. Nachdem sich ihre Umfragewerte nach dem Flüchtlingstief wieder stabilisierten, macht sie es wie immer. Sie redet sich nicht wie andere um Kopf und Kragen, sondern sie sitzt aus. „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ und ebenso gerne rautefaltend dahocken.
Die (Nicht) Wähler
Liebe Landsleute, stillsitzen hingegen, kann ich nicht. Ihr seht aber, so (un)unterhaltsam ist Politik, so differierend sind Politiker. Da ist doch für jeden etwas dabei. Also, wählen gehen! Ja, ja, ich weiß, wer die Wahl hat, hat die Qual. Aber wir haben sie wenigstens. Doch dieses Wissen scheint vielen nicht weiterzuhelfen. So ist immer noch fast die Hälfte aller Wahlberechtigten unentschlossen darüber, wem sie ihr Kreuzchen geben werden. Die blödeste Nichtwähler-Ausrede ist: Es ändert sich doch sowieso nichts. Richtig! Ja, Wahlen bringen Qualen. Eine wäre sich am 24. September aus dem Sessel zu quälen!!!
Was wir noch zu sagen haben – Alle Ansichtssachen